LAND_LEBEN_LITERATUR

 

Land, Leben und Literatur sind für mich die wichtigsten Elemente, die mein schöpferisches Werk beeinflussen. 

 

Auf dem Land geboren, unweit der Großstadt Frankfurt, verleitete mich die Sehnsucht nach Leben zu Ausbrüchen in die Welt. Meine Linie zieht sich von der Mitte Deutschlands über Berlin bis nach Süddeutschland. Letzten Endes bin ich wieder in der Mitte gelandet. In dem Ort, der nicht nur meine Kindheit prägte, sondern auch mein literarisches Denken beflügelte. Berstadt, das einzige Dorf mit diesem Namen, dieser Orthografie, hat mich immer wieder zurückgezogen. Aber das ist eine andere Geschichte!

 

Astrid Lindgren, eine meiner frühen literarischen Heldinnen, hat mich in meinem ganzen Menschsein geprägt. In vielen Lindgen Werken wird deutlich , dass echte Menschlichkeit  eigentlich nur im Einklang mit der Natur möglich ist. Ronja Räubertochter war meine liebste Geschichte. Dieses Mädchen war wild, schön, gefährlich und klug - Eigenschaften, die ich bis heute schätze. Lindgren wuchs auf einem Bauernhof auf und verwandte dieses Bild in ihren erfolgreichsten Kinderbüchern.

 

Ganz losgelassen hat mich diese Art, die Welt zu betrachten, nie. 

Meine Lieblingsautoren und Autorinnen gehören zu großen Teilen der Strömung des Magischen Realismus an. Diese Strömung verbindet die realistische Welt mit Natur und Mythologie. Meine ganz persönliche Welt ist anders nicht denkbar.

 

Nicht nur Astrid Lindgren hatte eine ganz besondere Beziehung zu Umwelt und Natur, sondern auch viele andere Schriftsteller, die mich maßgeblich geprägt haben. Dazu zählen Isabel Allende, Juli Zeh und Olga Tokarczuk. Allende lebt und schreibt in einem ländlichen Gebiet in der Nähe von San Francisco, Juli Zeh im Havelland in einer alten Pfarrei und Olga Tokarczuk in einem Dorf bei Nowa Ruda in der Woiwodschaft Niederschlesien.

 

Warum fühlen sich viele Schreibende angezogen von der Ruhe der Natur?

Dafür gibt es gute Gründe: 

Das Landleben bietet mehr Stille und weniger Reize – ein idealer Zustand für konzentriertes Arbeiten und tiefes Denken. Außerdem regen Landschaften, Jahreszeiten, Tiere und Wetterphänomene die Imagination an und liefern wertvolle Metaphern für Wandel, Vergänglichkeit oder Freiheit.

 

Wichtige Punkte sind aus meiner Sichtweise heraus, dass man sich in der  Abgeschiedenheit sich selbst näher kommt  – was für viele Schreibende einen entscheidenden Impuls darstellt.

In der Literatur hat das Landleben eine lange Tradition. Von der Bukolik, also der antiken Schäfer- und Hirtendichtung bis hin zur modernen Natur Prosa. 

 

Das Land, also die damit verbundene Natur, ist für mich Inspiration. Nach den Reisen und dem Gelebten eines nunmehr fast halben Jahrhunderts muss ich jetzt feststellen, dass es eigentlich ganz in Ordnung ist, ein hessisches Landei zu sein. (So wie Goethe übrigens auch. Wenn man davon ausgeht, dass Frankfurt damals noch einen eher ländlichen Charakter hatte.)

 

Natürlich möchte ich nun beweisen, dass Natur für das Schreiben essentiell sein kann. Deswegen gebe ich gerne mein Schreibwissen weiter an jene, die sich immer gedacht haben, dass sie nicht schreiben können und an jene, die den Spaß am Wort bereits gefunden haben. 

 

Übung: Die Sinnhaftigkeit des Lebens in 25 Minuten

Wenn wir über die Natur schreiben, dann schreiben wir automatisch auch über das Leben in all einen Formen. Daher empfehle ich, zunächst die Sinne zu schärfen. Wenn du also Deinen Lieblingsplatz gefunden hast, dann mach es Dir gemütlich. Ich empfehle dafür ganz oldschool Stift und Papier. Denn Schreiben ist Kunst und jede Handschrift der persönlichste Ausdruck derselben.

 

Der erste Sinn: Fühlen (5 Minuten)

Wenn der Mensch sich niederlässt, dann hat er seine Umgebung bereits begutachtet und sich gedacht: Das passt zu mir! Aber um darüber zu schreiben, bedarf es genauerer Prüfung. Wie also fühlt sich der Grund an, auf dem Du sitzt und die Luft, die über Deine Handflächen streicht? Welche Strukturen Deiner Umgebung öffnen sich für Deine Fingerkuppen?

Der zweite Sinn: Hören (5 Minuten)

Offenbart sich Deine Umgebung auch für Deine Ohren? Hast Du einen wirklich stillen Ort gefunden oder kannst Du die Zivilisation erlauschen? Mach ein Experiment und gönne Dir den Luxus von Ohrstöpseln und Geräuschen, die den Ort, an dem Du Dich befindest, paradox werden lassen oder den strahlenden Sonnenschein mit rauem Regenprasseln verbinden. Was macht das mit der Situation, die Du Dir gerade erschreibst?

Der dritte Sinn: Sehen (5 Minuten)

Schau dich genau um. Was siehst Du? Natürliche Erscheinungen können in deiner Wahrnehmung Assoziationsketten auslösen. Farbe, Bewegung, Strukturen… alles kann zu etwas vollkommen Neuen verschmelzen. Nimm Deinen Block zur Hand und fixiere das Eine, das Dich fasziniert und zeichne blind. Wie lässt sich beschreiben, was Deine Hände umsetzen?

Der vierte Sinn: Riechen (5 Minuten)

Olfaktorische Eindrücke können, genau analysiert, ungeahnte Bildwelten hervorrufen. Ein Wald duftet nicht nur nach Wald, eine Wiese nicht nur nach einer Wiese und ein Stadtpark anders als ein angelegter Renaissancegarten. Welches Konglomerat ergibt eine Symphonie für Deine literarische Vision?

Der fünfte Sinn: Schmecken (5 Minuten)

Falls Du Dich auf einer Wiese befindest und kräuterkundig bist, dann kannst Du probieren, wie der Ort schmeckt, an dem Du dich niederlässt. Falls Du Dich nicht auskennst, empfehle ich ausschließlich Gänseblümchen. Sie sind ja allgemein gut bekannt! Wenn Du nichts über wilde Pflanzen weißt, dann nimm Dein Lieblingsessen mit und probiere, ob es draußen genauso gut ist wie in der heimischen Küche. Ein Picknick bietet viele Geschichten! Auch wenn Du allein bist.

 

Jetzt hast Du 25 Minuten lang Sinneseindrücke gesammelt - es ist Zeit, Dich ans Schreiben zu lassen! Schreibe zehn Minuten und denke auf gar keinen Fall über Deine Worte und Sätze nach. Lass Dich schreiben - halte nur deinen Stift und lass ihn über das Papier gleiten. Dieser Text ist nur für Dich, außer Du willst ihn jemandem zeigen. Ansonsten bleibt er in einem Schmetterlingskokon für deinen ganz persönlichen schriftstellerischen Werdegang.

 

Ich wünsche Euch Freude und Inspiration, lasst von Euch hören, 

eure Melanie

 

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Lost-Place-Dorf – stimmt das?


Ein Lost Place ist eigentlich ein ungenutzter Ort, den man nicht legal betreten darf. Ihm haftet immer etwas Unheimliches an. Warum wurden diese Orte verlassen? Was ist in ihnen passiert?

 

Wenn ich an das Dorf denke, aus dem ich stamme, dann erscheint es mir wie ein Lost Place im Format eines Dorfes. Eigentlich wollte ich nie hier sein – und so habe ich mehrere Fluchtversuche unternommen.


Zunächst in die nächstgelegene Kleinstadt. Damals war ich 16 Jahre alt und  ja… in diesem Alter zieht man eigentlich nicht aus … aber ich habe es trotzdem getan und mich dann in einem mittelgroßen Radius um das Dorf bewegt. Bis ich endlich in Berlin ankam. Von Berstadt nach Berlin – das war nicht gerade ein Katzensprung.

Zehn Jahre Hauptstadt können für ein Kind vom Land anstrengend sein. Na gut, dachte ich, ich beerdige das Kriegsbeil. Ich war ja keine zwanzig mehr, sondern dreißig, und wollte ein geregeltes Leben.
Berstadt hatte mich wieder – aber nur für vier Jahre. Dann trat ich die nächste Flucht an und grub mich wie ein Kaninchen an das andere Ende der Republik: in den Schwarzwald.

 

Eigentlich wollte ich ein traumhaftes Leben auf einem einsamen Berggipfel führen – an einem verlassenen Ort.
Meine Begleitung wollte das nicht. Und ja: Auch im Schwarzwald gibt es flache Täler ohne hohe Tannen. So bin ich schon wieder in einem Suppenkessel gelandet.
Wieso „schon wieder“? Naja, Berstadt hat eine ähnliche Lage wie der Ort, in dem mein neues Leben beginnen sollte. Vogelsberg und Taunus kreisen Berstadt ein. Der fruchtbare Boden rührt von der aktiven Zeit des Vogelsbergs her, der vor 15 bis 18 Millionen Jahren seinen letzten Ausbruch hatte.

 

Seit der Bronzezeit lassen sich immer wieder Siedlungen in und um Berstadt finden.
Berstadt liegt so wunderbar ungefähr in der europäischen Mitte, dass Volk um Volk, über Jahrtausende und Jahrhunderte hinweg, durchmarschiert ist und seine Spuren hinterlassen hat.

 

Kann man also davon sprechen, dass Berstadt ein Lost Place ist? Nein!
Wie bin ich dann bloß darauf gekommen?

 

Für mich gibt es nur eine Erklärung: Weil Berstadt immer schon ein Ort der Einwanderung war und das bis heute auch geblieben ist, regt sich in meinen Genen wahrscheinlich auch die Sehnsucht nach der Ferne und nach dem, was anders ist.

Aber irgendwas muss ich hier vergessen haben. Ich bin ja immerhin ständig zurückgekommen, bin gewirbelt wie ein Kreisel – und heute juckt es mir eigentlich nur noch in den Fingern.

 

Während Corona war ich tatsächlich an Berstadt gefesselt. Ich konnte nicht mehr weg! Und meine Bücher lagen im Schwarzwald.

Das Einzige, was ich im Haus meines Großvaters finden konnte und von meinen geplagten Augen verschlungen wurde, war die Dorfchronik.

Und so ist es dann gekommen: zu Mia und Merle und den anderen literarischen Vorhaben, an denen ich gerade arbeite.


Mehr dazu gibt es in den Rubriken, die ihr bestimmt schon entdeckt habt.
Aber was mich jetzt interessiert, ist natürlich: Habt ihr auch schon etwas über euer Dorf geschrieben? Seine Ecken und Winkel belauscht? Merkwürdige Sachen entdeckt? Seltsame Gefühle gehabt?

 

In Berstadt habe ich übrigens den ein oder anderen Lost-Place gefunden. Dabei handelt es sich um Scheunen aus der Neuzeit, die nicht abgerissen werden dürfen, weil sie unter Denkmalschutz stehen, und haben in meinem ersten Berstadt Roman einen Hauch neues Leben bekommen. 

 

Seid gespannt! Berstadt ist also ein Dorf und keinesfalls ein Lost-Place. Auch wenn es sich manchmal so anfühlt. Wo ist Euer Lost-Place? Habt ihr schon einen Klecks bunte Farbe entdeckt? Berstadt jedenfalls ist kein Lost-Place. Und auch kein Ort mit vermauerten Fenstern, hinter denen gruselige Sachen stattfinden.

Falls ihr fündig geworden seid, empfehle ich den Gang in die nächste Bibliothek, ins Gemeindearchiv oder einfach ein Gespräch mit „Ureinwohnern“. Lasst von euch hören.

 

Ich bin gespannt, eure Melanie

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